Kommentar
Am vergangenen Donnerstag (20.3.2014) habe ich mit meinem Kurs Musikwissen I vom Konservatorium Winterthur Patrick Franks „Diskurskonzert“ Wir sind außergewöhnlich (Version II) besucht. Der Abend hat meiner Klasse und mir Freude bereitet! Die folgenden Gedanken verstehen sich als inhaltliche Nachlese für unseren Kurs, aber auch als Ausdruck persönlicher Anregung, da mir die von Patrick Frank in seinem Abend aufgeworfenen Themen wesentlich erscheinen und am Herzen liegen.
Zu den Beiträgen des Abends
Wie kann es in unserer Kunst überhaupt weiter gehen?, lautet Patrick Franks zentrale Fragestellung für sein Schaffen. Seine Ansätze zur Antwort speisen sich aus einer Gegenfrage: Wie kann es in unserer Gesellschaft überhaupt weiter gehen? (Anm.: Dies sind keine Zitate.) Patrick Franks künstlerische Ausrichtung ist also eine unbedingt gesellschaftskritische.
The Law of Quality beeindruckt mich besonders. Darin ist die krönende Konsum-Hymne „Where the Magic comes to you“ so gut gemacht, dass sie nicht gleich so ganz preisgibt, wie grauenvoll sie letztlich ist. Unter der zynischen Losung „Quantity is Quality“ lässt mich das Stück durch sein verführerisches Spiel verwirrt, also berührt zurück. Endgültig fesselt es mich in seiner geistreichen Paradoxie, wenn es mit eigener Website, Hochglanz-Werbespots und Vertragswerk sich selbst nach denselben Bedingungen der materiellen Wertsteigerung zum Kauf feilbietet, die seine Existenz anprangert. Mit dieser subtilen Vielschichtigkeit und seiner schaurigen Ästhetik geht mir das Konzept-Stück unter die Haut und zwingt mich zum Nachdenken.
Was ist an musikalischen Merkmalen für die an diesem Abend gebotenen Kompositionen von Patrick Frank wesentlich? In The Law of Quality ist eine Art Un-Musik komponiert – auch im ersten Teil des Stückes, wo stumpfsinnige Akkordrepetitionen von absurden Ansagen begleitet werden, welche die Anzahl gespielter Noten als vermeintlichen Qualitätswert anpreisen. In I love you (Objektmusik I) werden meist kurze Versatzstücke einer Auswahl von viel gespielten Musikstücken ver- und zerkomponiert; damit will der Komponist den Verschleiß ihres Sinngehalts durch beliebigen Konsum thematisieren, wie er in unserem Alltag gang und gäbe ist. Eine der wesentlichen Sequenzen von Subversion 2 (vorläufig: Link zu Ver. 1) bringt ein Chopin-Nocturne in voller Länge, überlagert es aber mit platt etikettierenden verbalen Zwischenrufen. Zusammenfassend lassen sich in Patrick Franks Stücken zwei immer wieder kehrende Prinzipien der musikalischen Komposition festhalten: Entweder verarbeitet er fremde Musikstücke durch Störung oder Zerstörung, oder er schreibt ironisch gebrochene Musik. (Im übrigen tritt bei der Arbeit mit Video, Sprache und Inszenierung das musikalische Metier immer wieder auch weit in den Hintergrund oder es wird ganz verlassen.) In all diesen Stücken wird eine satirische Ebene wesentlich, die mehr oder weniger das ganze trägt und tragen muss. Durch diesen meist gelungen humorvollen Zugang – der sich bisweilen durchaus ins Alberne bewegt – bleibt die ernsthafte Aussage dahinter unbeschädigt; gerade so wird sie hier geistreich und gleichzeitig fasslich transportiert. Der Balanceakt zwischen Kunst und Kalauer vermag auf mitreißende Art auf den Punkt zu kommen. Bemerkenswert ist nun, dass Patrick Frank an keiner einzigen Stelle Musik komponiert, hinter der ohne Bruch eine bejahende Aussage steht. In „Wir sind außergewöhnlich“ – schon im Titel steckt programmatisch die Ironie – geht diese Haltung hervorragend auf. Ob es indessen für einen Komponisten auf Dauer eine Perspektive sein kann, sich letztlich dem musikalischen Erschaffen in einem engeren Sinn zu verweigern, indem er im Wesentlichen in Formen der Karrikatur oder der Deformation schreibt, stellt sich mir als spannende Frage. Teils scheint mir auch schon etwas anderes in Patrick Franks Stücken aufzublitzen: Bei aller Distanz des Komponisten zum Schönen gelangt etwa das Stück I love you durch seine unablässige Übung an seinem Material, den einzelnen Zitat-Schnipseln, in einen eigenartigen Fluss, sodass sich mir doch andeutungsweise wieder – gewollt? – eine konstruktive Ästhetik mitteilt.
Die Gesprächsblöcke, also die nicht künstlerischen Teile, mit Moritz Leuenberger (schweizerischer Altbundesrat) und Enno Rudolph (Philosoph) sind eine echte Bereicherung im Gesamtkonzept: Zwei erfrischend unverstellt reflektierenden Persönlichkeiten gelingt es hier trotz limitierter Zeit, mit einer gewissen Tiefe und Ruhe ein paar wesentliche Gedanken auszuführen. Gerade indem sie eigenständig die angesagten Themen bearbeiten – ohne etwa verkrampft die künstlerischen Beiträge erläutern zu versuchen – ergeben Kunst und Diskurs zusammen mehr als die Summe der Einzelteile, beleuchten sich gegenseitig. Das gelingt auch, indem die Protagonisten einander aufmerksam zuhören und Raum finden, durchaus experimentell die eigenen Gedanken zu spinnen. Günther Jauch ohne Günther Jauch – wie wohltuend!
„Kann man Kunsttheorie inszenieren?“, fragt Christian Felix auf kulturkritik.ch (Rezension vom 22.3.2014) und antwortet schließlich: „Ja. Patrick Frank, der Gestalter des Bühnenspiels und der Regisseur Gian Manuel Rau beweisen es.“ Hier melde ich Zweifel an. Überwiegend haben nämlich die Macher des Abends, wie auch immer, künstlerisch gestaltet und nicht theoretisiert – und das ist gut so. Wo dann doch die nackte Theorie in die künstlerischen Beiträge einzuweben versucht worden ist, mag mich das nicht recht überzeugen: In Subversion 2 wirken die eingestreuten kunsttheoretischen Statements, vorgetragen durch den Komponisten selbst („Baudrillard sagt: …!“), halb wie der erhobene Zeigefinger des Oberlehrers, halb wie kleinlaute Rechtfertigungen für den eingeschlagenen künstlerischen Weg. Ich sehe in ihnen statt eines Gewinns eine Störung der eigentlich für sich sprechenden künstlerischen Arbeit. Sie könnten ohne weiteres gestrichen werden – oder vielleicht ganz herkömmlich in einen Begleittext eingehen.
„Es ist ihnen [Komponist und Regisseur] eine beeindruckende Aufführung gelungen.“ Darin stimme ich dem eben schon zitierten Rezensenten zu! Manchmal hätte ich halt gern mehr Komponiertes vom Komponisten gehört, gesehen, erlebt. „Wir sind außergewöhnlich“ reiht sich folgerichtig an frühere Arbeiten von Patrick Frank, die den Sinn und Unsinn aktuellen Komponierens scharfsinnig hinterfragen. Ich bin gespannt, was weiter von ihm kommt.
Unser Besuch
Den Besuch von Patrick Franks Vorstellung mit meinem Kurs Musikwissen I vom Konservatorium Winterthur habe ich genutzt, um dort auch ganz aktuelles Komponieren vorzustellen und es die Klasse hautnah erleben zu lassen. Alle Teilnehmenden des Kurses sind erschienen und haben sogar noch eine weitere Vorstudierende mitgebracht. Alle haben sich mit spürbarer Neugierde auf das durchaus gewöhnungsbedürftige Format eingelassen. Einzelne haben sich auf das Erlebnis hin bereits hell begeistert geäußert. Die Ansicht, die Beschäftigung mit neuerer Kunst sei für junge Musiker eher zu schwierig oder stoße auf Ablehnung – auch ich ertappe mich, ich gebe es zu, im Rahmen meiner Arbeit mit Theorie-Anfängern manchmal noch bei dieser Haltung –, haben die Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer aus Vorstudium und Förderprogramm mit ihrem selbstverständlichen und gleichzeitig reflektierten Zugang zu Patrick Franks Arbeit einmal wieder als dummes Klischee entlarvt.
Mein besonderer Dank, auch im Namen des Kurses und des Konservatoriums Winterthur, gilt dem Komponisten, der mir Notenmaterial des Abends zur Verfügung gestellt und sich Zeit für Erläuterungen und Diskussionen genommen hat!
_
Link: Patrick Franks Website
Link: Gessnerallee Zürich
Kommentieren:
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.