Konservatorium Winterthur:
Minimal Music von und mit Vorstudierenden
Erfahrungsbericht aus meiner Unterrichtsarbeit
Das Stück In Democra-C haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Kurses Musikwissen II vom Konservatorium gemeinsam mit mir entworfen und vorgestern in einer Vortragsstunde zusammen mit einer weiteren Gruppe aufgeführt. Gemeinsam haben wir die Anlage des Stückes diskutiert und festgelegt – jeder hat seine Ideen eingebracht. Das so entstandene Konzept und unsere Aufführung gestern sind das Ergebnis dieses Experiments.
Unsere Vorlage hinsichtlich der musikalischen Machart war In C von Terry Riley – wenngleich wir von Anfang an durchaus unsere eigenen Wege gegangen sind. Notiert sind in Rileys Pionierstück der sog. Minimal Music lediglich 53 meist kurze musikalische Bausteine, sog. Patterns. Jeder Ausführende spielt jedes Pattern mehrmals hintereinander und entscheidet selbstverantwortlich, wann er zum nächsten Pattern wechselt. So formt jeder Spieler den Verlauf des Stückes mit, und jede Aufführung wird, anstatt durch einen Dirigenten, durch eine Art Schwarmintelligenz geleitet.
Es war mein Gedanke, diese sozusagen demokratischen Entscheidungsprozesse schon auf den Entwurf unserer Partitur (d.h. der Spielvorlage mit den Patterns) zu übertragen. Zunächst haben die sieben Kursteilnehmer und ich uns über den Ablauf des Stückes im Groben Gedanken gemacht und uns auf drei verschiedene Grundsituationen festgelegt, die nacheinander eintreten. Dazu konnte dann jeder für sich wieder etwas überlegen und bei unserer nächsten Zusammenkunft vorstellen. Mit dieser gegliederten Vorgehensweise konnte die Idee des gemeinsamen Komponierens greifen. Am Schluss habe ich dann allerdings noch einige wesentliche Entscheidungen getroffen und alles zusammengesetzt – sonst hätte es den Rahmen unseres Unterrichtsformats doch gesprengt.
Schon unsere Proben gemeinsam mit dem Parallelkurs (Musikwissen I) verliefen erfolgverprechend: Die einzelnen Grundsituationen – das erlaube ich mir im Hinblick auf die Leistungen der Klasse so einzuordnen – teilen sich als solche mit und gehen geschmeidig ineinander über. Die Aufführung der 13 Mitwirkenden am Mittwoch gelang schließlich so organisch im Ablauf, wie ich es doch nicht erwartet hatte. Viele Mitwirkende und Zuhörer sprechen von einem packenden Erlebnis. Einige Ungenauigkeiten im Detail haben das Gesamtbild kaum getrübt. Dass die Spannung über 35 Min. Aufführungsdauer hielt, ist der Konzentration und Sensibilität der Ausführenden zu verdanken. Bei unserer vergleichsweise kleinen Gruppe von Instrumentalisten und Sängern und bei knapper Probenzeit freue ich mich über dieses Ergebnis der Vorstudierenden.
Es ist eine unmittelbare musikalische Erfahrung, selbst ein Stück von Grund auf zu gestalten. Die manchmal überraschend pragmatischen Entscheidungen eines Kompositionsprozesses im eigenen Tun kennenzulernen, rückt gerade die handwerkliche Seite von Musik in den Blick. Der Austausch beim gemeinsamen Komponieren kann beflügeln und der Blick über die Schulter eines Erfahreneren Strategien aufzeigen, die sich in Form abstrakter Instruktionen nur schwer mitteilen ließen. Mir selbst waren umgekehrt viele gute Ideen und Vorschläge der Kursteilnehmer eine echte Inspiration. Bisweilen fehlt es aber auch noch an Vertrauen in die eigenen Möglichkeiten und dann am nötigen Biss, um eine gesetzte Teilaufgabe selbständig zu einem wirklich fundierten Ergebnis zu führen – vielleicht hat das Projekt hier motivieren können.
Mit Blick auf das musikalische Ergebnis gefällt mir die Beobachtung, wie unser gemeinsames Schaffen und Lernen selbst zum künstlerischen Gegenstand hat werden können. Ich meine, das habe sich in der Aufführung auch mitgeteilt.
(Beitrag nachträglich überarbeitet, abgeschlossen am 21. Feb. 2014)
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Link: Website von Terry Riley – mit schönen Patterns auf der Titelseite, dort in visueller Form
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